Russischer Oppositionspolitiker:"Die Indizien sind eindeutig"

Lesezeit: 6 min

Alexej Nawalny über die Panama Papers und die Spur zu Wladimir Putin, über Korruption und die aus seiner Sicht unerklärlichen Geldtransfers von Unternehmen in Russland.

Interview von Julian Hans

Alexej Nawalny ist einer der bekanntesten Oppositionellen Russlands. Der 39-jährige Rechtsanwalt betreibt einen Blog über Korruption und er hat den "Fonds zur Korruptionsbekämpfung gegründet, eine Nichtregierungsorganisation, die sich über Spenden finanziert. Im Februar 2016 versuchte er, Präsident Wladimir Putin wegen Korruption vor Gericht zu bringen - doch das Gericht nahm die Klage nicht an.

SZ: Herr Nawalny, für Sie arbeiten mehr als 30 Männer und Frauen, um illegale Machenschaften aufzudecken. War für Sie an den Panama Papers irgendetwas neu?

Alexej Nawalny: Wir wussten ungefähr, wie die Putin'sche Korruption funktioniert: Er hat Freunde, diese Freunde gewinnen staatliche Ausschreibungen und verdienen damit Milliarden. Diese Milliarden sind wie ein gemeinsamer Topf, aus dem er sich bedienen kann. Jetzt stellt sich heraus, dass es außerdem noch eigene Kassen Putins gibt. Und wir sehen, wie sie gefüllt werden. Dass das, was dem Cellisten Sergej Roldugin gehört, eine Kasse von Putin ist, daran habe ich keinen Zweifel.

Aber der Name Putin taucht nirgendwo in den Dokumenten auf.

Die Indizien sind eindeutig: Erstens: Roldugin ist ein enger Freund Putins. Zweitens: Es gibt keine Erklärung dafür, weshalb er auch nur annähernd über solche Summen verfügen könnte. Er wäre der reichste Musiker auf dem Planeten. Drittens: Die Art und Weise, wie diese Kasse gefüllt wurde, indem Staatsunternehmen Straftaten begangen haben, durch Insiderhandel, nicht zurückgezahlte Kredite - warum sollten die so etwas tun?

Putins Sprecher erklärte, die Veröffentlichungen seien eine Attacke auf den Präsidenten, bei der westliche Geheimdienste die Feder geführt hätten.

Die nervöse Reaktion des Kreml ist ein weiteres Indiz. Alles zusammen weist darauf hin, dass die Veröffentlichungen unmittelbar die Korruption von Putin offengelegt haben. Wenn ein Mörder festgenommen wird, hat normalerweise auch niemand gesehen, wie er sein Opfer mit der Axt trifft. Aber es gibt die Axt, die Leiche, die Fingerabdrücke, den Geldbeutel des Opfers in der Tasche des Täters. Das reicht noch nicht, um einen Menschen auf den elektrischen Stuhl zu setzen; aber es reicht, um ihn auf die Anklagebank zu setzen.

Warum ist früher niemand auf Roldugin gekommen?

In der Putin-Biografie "Aus erster Hand", die zu seinem ersten Präsidentschaftswahlkampf erschien, wird er oft erwähnt. Dass trotzdem niemand früher daran gedacht hat, dass er Putins Geld verwalten könnte, zeigt, dass Putin die richtige Wahl getroffen hat: einen bescheidenen Mann, der keinen Ferrari fährt, Cello spielt. Auf den fällt so schnell kein Verdacht. Aber in dem Moment, in dem seine Briefkastenfirmen und deren Geschäfte offengelegt wurden, gibt es ein Problem, denn solche Summen lassen sich einfach nicht erklären.

Illustration: Peter Hoffmann (Foto: Peter Hoffmann)

Was halten Sie von der Erklärung, Unternehmen hätten Roldugin Anteile überschrieben, damit er nicht mehr um Spenden betteln muss und wertvolle Instrumente kaufen kann?

Was sollen das für Spenden sein? Zwei Milliarden Dollar, das ist mehr als der Jahresgewinn der größten Unternehmen in Russland! Laut der offiziellen Statistik des Zolls führte Russland im vergangenen Jahr Musikinstrumente für etwa 50 Millionen Dollar ein. Wenn man das hochrechnet, könnte Roldugin mit den zwei Milliarden 40 Jahre lang den Import aller Musikinstrumente nach Russland finanzieren. Das ist doch lächerlich.

Glauben Sie denn, man könnte eines Tages Konten, Immobilien oder auch Aktien finden, die auf Wladimir Putin registriert sind?

Natürlich nicht. Grand corruption - also Korruption auf oberster Regierungs- ebene - ist anders aufgebaut. Wenn autoritäre Herrscher beteiligt sind, dann meistens über Familienangehörige, über Freunde, den Hockey-Trainer, den Judo-Trainer.

Was, wenn seine Freunde Putin eines Tages im Stich lassen?

Darauf gibt es eine einfache Antwort: Entweder du bist Präsident und niemand kann dir etwas ausschlagen. Oder du bist nicht Präsident, dann ist alles vorbei. Deshalb kommt ein anderer Weg für ihn nicht infrage, selbst wenn er Krieg führen muss, um seine Macht zu verteidigen. Notfalls wird die gerade gegründete Nationalgarde mit 400 000 Mann, die ihm unterstellt ist, alles mit Panzern plattmachen.

Verstößt das, was jetzt bekannt wurde, denn gegen geltendes Recht?

Abgesehen davon, dass eine Reihe von Politikern in den Papieren auftaucht, die ihre Anteile an Firmen offenbar nicht wie in Russland vorgeschrieben deklariert haben, gibt es Hinweise auf eine ganze Reihe von Straftatbeständen: Der Verdacht auf Insiderhandel bei der Sberbank und der VTB; beide sind an europäischen Börsen gelistet, hätten also sowohl gegen russische als auch gegen europäische Gesetze verstoßen. Zweitens: Steuerhinterziehung durch Roldugin. Drittens: Betrug bei der Russian Commercial Bank, einer Tochter der VTB auf Zypern, die der Firma Sandalwood eine Kreditlinie von 650 Millionen Dollar eingeräumt haben soll, ohne Sicherheiten zu verlangen. Betrug bei Sewerstal, das einer Roldugin-Firma einen Kredit über sechs Millionen Dollar gab, nur um ihn sofort platzen zu lassen. Betrug bei der Investmentgesellschaft Trojka Dialog, einer Tochter der Sberbank, und viele mehr.

Wo sehen Sie da Korruption?

Weder die Sberbank noch die VTB noch Sewerstal können diese Geschäfte erklären. Warum schließt ein Konzern einen Vertrag über einen Aktienverkauf an eine Firma aus dem Roldugin-Netzwerk, löst ihn umgehend auf und zahlt 750 000 Dollar Entschädigung? Das ist Korruption in Reinform. Deshalb hoffen wir darauf, dass wenigstens dort, wo europäisches Recht verletzt wurde, Ermittlungen eingeleitet werden.

Sie haben in den vergangenen Jahren über fast alle hohen Beamten in Russland Material veröffentlicht, das nahelegt, dass sie korrupt sind. Was hat es gebracht?

Der Blogger Alexej Nawalny wurde 2013 wegen Unterschlagung in einem spektakulären Prozess zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt. Drei Monate später setzte das Gericht die Strafe zur Bewährung aus. (Foto: AP)

Das ist die Tragik unserer Arbeit: Es festigt die Position dieser Beamten! Denn wenn öffentlich wird, dass sie korrupt sind, erhöht das ihre Loyalität. Dann ist Putin die letzte Quelle ihrer Legitimität. Sie wissen, dass die Gesellschaft sie am liebsten im Gefängnis sähe. Und dass sie nur deshalb nicht im Gefängnis sind, sondern reiche Minister, weil es Putin gibt.

Der Russland-Experte Mark Galeotti von der New York University sagt, das Besondere an Russland sei, dass man hier für Geld keine Macht kaufen kann. Aber wer Macht hat, braucht sich über Geld keine Gedanken mehr zu machen.

Das steckt schon in einem Puschkin-Vers: "Ich kaufe alles, sagt das Gold. Ich nehme dir alles, sagt die Klinge". Das heißt, du kannst alles kaufen, aber wenn einer kommt, der Macht hat, kann er dir alles wegnehmen. Muss Putin fürchten, dass ihn seine Freunde betrügen? Muss er nicht, denn er hat Macht. Auf den Konten des Energiekonzerns Surgutneftegas liegen soweit bekannt 30 Milliarden Dollar. Die kann er ihnen jeden Moment wegnehmen. Deshalb ist es auch völlig sinnlos, darüber zu rätseln, wie groß wohl Putins Vermögen ist. Auf dieser Stufe eines autoritären Staates gehört ihm schlicht alles.

Also bringen Reiche ihr Geld im Ausland in Sicherheit. Welche Rolle spielt der Westen dabei?

Der Westen macht mit. Länder wie die Schweiz oder Großbritannien liefern dafür Anreize, indem sie einen sicheren Hafen bieten. Obwohl alle diese Länder formell Regeln zur Bekämpfung der internationalen Korruption verabschiedet haben. Aber in der Praxis passiert nichts. Seit vielen Jahren wende ich mich an das FBI, die Staatsanwaltschaften in Deutschland und in der Schweiz, an das Serious Fraud Office in Großbritannien und so weiter - kein einziges Verfahren wurde eingeleitet! Europäische Medien berichten viel über Korruption in Russland und die Mafia. Wenn ich Diplomaten oder Abgeordnete aus Europa treffe, fragen sie: Was kann Europa tun? Dann sage ich: Eröffnet wenigstens einen Prozess. Nicht um Russlands willen, sondern aufgrund eurer eigenen Gesetze gegen Geldwäsche. Wenigstens einen einzigen! Aber es passiert nichts.

Was glauben Sie, woran das liegt?

Gesetze gibt es genug, es fehlt der politische Wille. Ich glaube, sie wollen keinen Konflikt mit Putin. Armeen von Steueranwälten, Notaren und Investment-Bankern leben von diesem Geschäft. Trotzdem dürfte die Gesellschaft in Europa nicht glücklich sein über diesen Import von Korruption aus Russland.

Wie denken die Menschen in Russland über Korruption?

Viele sagen: Ja, die Mächtigen bereichern sich, aber wenigstens kennen wir die; wenn andere an die Macht kämen, würden die noch viel mehr klauen. Eine andere Variante lautet: Die bereichern sich, aber wenigstens tun sie etwas, Sotschi, die Fußball-WM. Oder: Die haben sich schon bereichert; wenn neue drankommen, geht es von vorn los! Und wenn du Präsident würdest, Nawalny, würdest du genauso klauen!

Die Leute haben sich damit abgefunden?

Eigentlich haben sie die Korruption satt. Putin habe 86 Prozent Unterstützung, sagen Umfragen. Aber unsere Kampagne zum Artikel 20 der UN-Konvention unterstützen 90 Prozent! 90 Prozent sind dafür, dass Beamte, die nicht erklären können, woher ihr Reichtum kommt, zur Rechenschaft gezogen werden. Doch der Kreml will, dass Korruption alternativlos erscheint. Vor diesem Hintergrund ist es für Putin sehr wichtig, dass die Ukraine scheitert. In der Ukraine gab es eine Revolution gegen die korrupte Elite, und leider sehen wir nach zwei Jahren keine Erfolge im Kampf gegen die Korruption. Wenn wir jetzt Aktionen gegen Korruption machen, fragt man uns: Wollt ihr, dass es bei uns so ausgeht wie in der Ukraine? Mit Blut und Krieg? Die Ukraine soll scheitern, damit es kein positives Beispiel für den Kampf gegen die Korruption gibt. Für die russische Opposition ist es deshalb sehr wichtig, dass die Ukraine erfolgreich wird.

Dass Sie und Ihre Stiftung überhaupt noch existieren, sehen manche als Beleg dafür, dass Russland gar kein so repressiver Staat ist, oder dass doch jemand Mächtiges seine Hand über Sie hält.

Erstens: Ich wurde drei Mal verurteilt. Obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mir recht gegeben hat, darf ich weiter nicht bei Wahlen kandidieren. Ein neues Gesetz verbietet mir sogar die Teilnahme an Debatten. Mein Bruder Oleg sitzt im Gefängnis für eine komplett erfundene Geschichte. Gegen mehrere Mitarbeiter der Stiftung laufen Strafverfahren, unser Büro wurde durchsucht. Putin ist nicht Stalin, noch werden wir nicht physisch vernichtet. Aber wer hätte sich vor zwei Jahren vorstellen können, dass sie Boris Nemzow ermorden?

© SZ vom 15.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: